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  • AutorenbildChristine Lehner

Das Bayerische Nationalmuseum

Aktualisiert: 9. Apr.

Warum sich ein Ausflug dorthin gerade jetzt lohnt. Ein Plädoyer.


Das Bayerische Nationalmuseum ist den meisten Münchnerinnen und Münchnern sicher wegen seiner berühmten Krippensammlung im Untergeschoss bekannt. Dass das Haus in der Prinzregentenstraße in unmittelbarer Nähe zu P1 und Eisbachwelle weitaus mehr zu bieten hat - und eine kunstbegeisterte Gästeführerin wie mich aktuell in Ekstase versetzt - darüber handelt der folgende Beitrag.



©Christine Lehner

Ehrlich gesagt lässt sich gar nicht so leicht in Worte fassen, was mich am Bayerischen Nationalmuseum (BNM) genau fasziniert. In der Krippensammlung ist es eindeutig die Atmosphäre. Dieses plötzliche Eintauchen in eine andere Welt, in das schummrige Licht der Räume und die kleinen und großen Schaukästen, die so ausgeleuchtet sind, dass man sich in die Szenerie förmlich „hineingezogen“ fühlt.

Und dann natürlich die liebevoll gestalteten Figuren, manche ganz klein und zierlich-schön, manche größer, feurig und schaurig, mal überdimensioniert, mal winzig, manchmal in purer Emotion aufgehend, andere dagegen wieder in scheinbarer Gleichgültigkeit erstarrt. Faszinierend, spannend, beruhigend und aufregend zugleich.


Während ich diese Zeilen schreibe, wird mir bewusst: das Gefühl, welches ich beim Besuch der Krippensammlung habe, ähnelt ziemlich genau dem, welches ich beim Rundgang durch das Haus in seiner Gesamtheit verspüre. Ich habe also doch Worte gefunden. Aber nochmal der Reihe nach.



©Christine Lehner

DIE STUDIOAUSSTELLUNG - EIN RÄTSEL IM RÄTSEL


Es ist Karfreitag und ich habe ausnahmsweise frei. Endlich nehme ich mir die Zeit, das Bayerische Nationalmuseum zu besuchen. Als Münchner Gästeführerin eigentlich ein regelmäßiges Muss, da es hier Kunstschätze zu bestaunen gibt, die für die Bayerische und auch Münchner Geschichte von immenser Wichtigkeit sind. Nicht zuletzt aufgrund der bedeutenden Sammlung der Wittelsbacher, die den Grundstock des Museums bildet. Doch wie wieder Zugang zu einem Haus bekommen, dass auf 13.000 m² in einer schier endlosen Zahl an Räumen Werke „von der Spätantike bis Jugendstil“ präsentiert?


Ich entscheide mich dafür, heute als aller erstes die neue Studioausstellung zu besuchen, für die das Museum aktuell wirbt. Passend zur Osterzeit trägt sie den Titel Goldene Passion - Georg Petel und das Rätsel seiner Kreuzigungsgruppe. Das Thema klingt für mich als an Kirchengeschichte interessierte Person sehr spannend, wird für mich aber anfangs selbst zum „Rätsel im Rätsel“, da ich zunächst etwas Mühe habe, die Ausstellung zu erschließen.


©Christine Lehner

WAS MICH FASZINIERT? EINFACH ALLES!


So wie ich den - in meinen Augen - doch recht kompliziert geschriebenen Begleittext verstehe, handelt es sich bei den drei ausgestellten, golden glänzenden Figuren zum einen um Christus am Kreuz, zum anderen um zwei „Schächer“, also Männer, die mit Jesus gekreuzigt wurden. Weiter erfahre ich: die beiden Schächer gehören eigentlich zum Bestand des Bode Museum in Berlin und wurden dort auch ausgestellt – nur die Christusfigur in der Mitte glaubte man lange Zeit verschollen.

Zumindest bis zu dem Moment, als ein findiger Kunstexperte des Bayerischen Nationalmuseums auf die Idee kam, nach dem fehlenden Christus doch einmal im reichen Fundus des BNMs zu suchen. Und siehe da: ein hochkompliziertes, computergestütztes Analyseverfahren bewies: Ja, die Christusfigur aus dem Münchner Depot ist tatsächlich DER fehlende Jesus der Kreuzigungsgruppe ! Nun also werden die glänzenden und überaus prachtvoll gefertigten Stücke gemeinsam als wieder vereintes Trio noch bis Ende Juni hier in München zu sehen sein, bevor sie dann zu dritt nach Berlin wandern, um sich dem dortigen Publikum zu präsentieren. So weit, so gut. Doch was daran ist so faszinierend ? Wenn Sie mich fragen: einfach ALLES !



©Christine Lehner

EINE SENSATION IN VIELERLEI HINSICHT


Erstens: Es ist eine Kriminalgeschichte mit Happy End, wie man sie aus dem Kino kennt: ein berühmtes Kunstwerk verschwindet, gilt jahrelang als verschollen und taucht plötzlich in irgendeinem Speicher wieder auf. Allein das schon eine Sensation.


Zweitens: bei dem Kunstwerk handelt es sich um das Werk einer der ersten Barockbildhauer in Deutschland überhaupt, der noch dazu aus Bayern stammt. Der (mir zumindest bis dato völlig unbekannte) Georg Petel (geboren 1601/02) kam nämlich aus Weilheim, ließ sich dort und in München als Bildhauer ausbilden und machte sich im Alter von gerade mal 20 Jahren auf die damals nicht ganz ungefährliche Wanderschaft nach Antwerpen, wo er unter anderem Bekanntschaft mit Peter Paul Rubens machte, dem wiederum vielleicht bekanntesten Barockmaler überhaupt (Anm.: Rubens Werke hängen heute unter anderem in der Alten Pinakothek). Vom Schaffen Rubens inspiriert, reiste der junge Petel anschließend über Frankreich nach Italien, wo er auch mit Werken Michelangelos in Berührung kam (Anm.: Michelangelo, 1475-1564, schuf unter anderem das berühmte Deckenfresko Erschaffung Adams in der sixtinischen Kapelle, Vatikan).


Und drittens - und das finde ich ebenfalls sensationell: in Rom lernte Petel auch noch den fast gleichaltrigen, flämischen Barockmaler Anthonis van Dyck kennen (kunstinteressierte Münchnerinnen und Münchner erinnern sich vielleicht noch an die Van Dyck Ausstellung in der Alten Pinakothek im Jahr 2019) und ließ sich von diesem portraitieren. Auch dieses Bild ist als Leihgabe der Pinakothek in der Studioausstellung zu sehen. Der junge Georg Petel aus Weilheim (später wohnhaft in Augsburg) wird angeblich bereits im 18. Jahrhundert sogar als „Deutscher Michelangelo“ gefeiert. Wow! Was für eine geniale Geschichte!



Georg Petel, porträtiert von Antonis van Dyck. ©Christine Lehner

BEEINDRUCKEND - TROTZ FEHLENDEM ROTEN FADEN


Leider versteht man die Zusammenhänge erst, wenn man sich wirklich Zeit nimmt und sich fast schon auf Knien von Objektbeschreibung zu Objektbeschreibung hangelt. Das ist mühsam. Das BNM schafft es meiner Ansicht nach nicht wirklich, diese großartige Studioausstellung so zu präsentieren, wie ich es mir persönlich gewünscht hätte: leicht verständlich, anschaulich und das wichtigste deutlich hervorgehoben.


Auch die anderen großartigen Meisterwerke Petels (wie etwa das "Kruzifixus" aus Elfenbein, das Petel in sehr jungen Jahren schuf und mit dem er zu einem der führenden europäischen Elfenbeinschnitzer wurde, siehe Foto unten rechts) gehen etwas unter, ein roter Faden ist in der Studioausstellung nicht richtig erkennbar (allein schon den Begriff „Studioausstellung“ finde ich sperrig). So wie mir geht es leider auch einem älteren, sehr kunstinteressierten Ehepaar, das nur für die Ausstellung gekommen ist. Die beiden mutmaßen und rätseln, machen sich selbst einen Reim und nehmen sich eben nicht die Zeit, sich alle Beschreibungen durchzulesen. Schade. Und dennoch beeindruckt mich die Ausstellung außerordentlich.





EIN BESUCH ? IMMER UND JEDERZEIT !


Nun fällt mir spontan auch keine Lösung ein, wie man den "Deutschen Michelangelo" vielleicht besser hätte vermarkten können und natürlich möchte der Beitrag keinesfalls PR-Bashing betreiben, im Gegenteil: ich möchte an dieser Stelle bewusst dazu aufrufen, die Studioausstellung und das Bayerische Nationalmuseum trotzdem und unbedingt zu besuchen!! Und zwar am besten noch heute, spätestens morgen, in jedem Fall zu jeder sich bietenden Gelegenheit !


Denn neben der wirklich fantastischen Goldene Passion, die noch bis Juni dieses Jahres zu sehen ist, lohnt vor allem auch ein Besuch der Dauerausstellung, mit weiteren zahlreichen, absolut sehenswerten Schätzen. Ja, dafür muss man ordentlich Zeit mitbringen. Aber es lohnt sich! Am heutigen Karfreitag schaffe ich es leider nicht mehr, mich auf die weiteren Räume zu fokussieren, doch Dank des gut aufbereiteten Audioguides gelingt es mir, mir einen kleinen Überblick über die Highlights der Sammlung zu verschaffen.


EINE BEHAARTE MARIA MAGDALENA


Am meisten fasziniert mich die in der Abteilung „Gotik“ ausgestellte, fast lebensgroße Figur der Maria Magdalena von Tilmann Riemenschneider (Titel Entrückung der Hl. Maria Magdalena, 1490/92). Diese wird komplett behaart dargestellt, etwas, was ich so noch nie in der Verkörperung der Maria Magdalena gesehen habe. Der Beschreibung nach hat sie mehrere Jahre in der Einöde verbracht um Buße zu tun. Durch "göttliche Fügung" wuchs ihr dann ein Haarkleid, das ihre Nacktheit verhüllen sollte. Meiner Meinung nach fehlte es ihr in der Wüste einfach an passenden Utensilien. Spannend und skurril zugleich.



©Christine Lehner

Und dann natürlich der "Klassiker" für jeden Gästeführer: das Sandtnersche Stadtmodell Münchens (1570), ein erstaunlich exaktes Abbild der Stadt im Mittelalter. Oder das wunderbare feine und fast schon zum Besucher sprechende Porzellan der Commedia dell’Arte von Franz Anton Bustelli. Oder die zahlreichen original Garderoben aus der Renaissance, sämtliche Portraits bedeutender Wittelsbacher, deren hauseigenes Hof-Porzellan und -Besteck sowie andere privaten Gegenstände, oder auch die Möbel des großen Reformers Montgelas.





Nach knapp fünf Stunden Museumsrundgang bin ich völlig erschöpft und der Ohnmacht nahe, dafür aber völlig erfüllt und glücklich. Ich nehme mir vor, mich bald einmal selbst einer Führung durch das Haus anzuschließen, um noch mehr Details über die Schätze zu erfahren.


Zur Feier des Tages gönne ich mir aber noch schnell eine Tasse Tee und ein Stück Apfelkuchen im angeschlossenen Museumskaffee. Angesichts meiner sichtlichen Erschöpfung und weil Ostern kurz bevorsteht, reicht mir der nette Kellner spontan einen alkoholfreien Secco. Auch das: einfach sensationell - und ohne viel Aufsehen :)

 


 

Fotos: Christine Lehner (mit freundlicher Genehmigung des Bayerischen Nationalmuseums) // Renaissance-Kleid: Bayerisches Nationalmuseum, Bastian Krack.


Die „Goldene Passion – Georg Petel und das Rätsel seiner Kreuzigungsgruppe“ läuft noch bis 30. Juni 2024, danach ist die Gruppe in der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, zu sehen (Laufzeit dort: 19. 07.–20.10.2024).

 

 

 

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